Strukturen und Vorgehensweisen der psychosozialen Akuthilfe in Großschadenslagen
Bahnunglücke, Naturkatastrophen, Terroranschläge: Wenn es zu großen Schadensereignissen kommt, die Dutzende, Hunderte oder gar Tausende potenziell traumatisierte Menschen zur Folge haben, bedarf es besonderer Vorgehensweisen, um die Betroffenen innerhalb kurzer Zeit psychotraumatologisch erstversorgen zu können. Ein Artikel von Dr. Robert Steinhauser, erschienen in ReportPsychologie, Ausgabe 05/2023....
Die reguläre Arbeitsweise von Psychologinnen und Psychologen sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in den eigenen Praxen, Beratungsstellen und teils auch in psychiatrischen Krankenhäusern ist für die Akutphase nach Großschadensereignissen kaum geeignet: Komm-Struktur, Terminvergabe und teils mehrmonatige Wartezeiten sind ein nur wenig praktikabler Ansatz für solche Szenarien.
Die Planungsstrategien des Katastrophenschutzes sehen hierfür deshalb die Einheiten der psychosozialen Akuthilfe (PSAH) vor – ehrenamtliche Einsatzkräfte aus Kriseninterventions- und Notfallseelsorgeteams. Diese sind eingebunden in die Strukturen und Abläufe der Einsatzkräfte aus Rettungsdienst, Feuerwehr und Polizei und können in Zusammenarbeit mit dem sogenannten »Betreuungsdienst« (mit Aufgaben wie Personenregistrierung, Verpflegung und Unterkunft) in sehr kurzer Zeit (etwa 30 bis 60 Minuten nach einer Alarmierung) eine psychosozial orientierte und psychotraumatologisch fundierte Erstversorgung innerhalb und am Rande des Schadensgebietes einrichten.
Psychosoziale Akuthilfe in Deutschland
Die Bereitstellung von psychosozialer Akuthilfe in Deutschland liegt zum weitaus größten Teil in den Händen von Hilfsorganisationen (Deutsches Rotes Kreuz, Malteser Hilfsdienst usw.) und Kirchen. Sie richten Kriseninterventions- bzw. Notfallseelsorgeteams ein, die aus größtenteils ehrenamtlichen Einsatzkräften mit umfangreicher Ausbildung in diesem Bereich (meist aber ohne fachwissenschaftlichem Berufshintergrund) zusammengesetzt sind (siehe Kasten). In ihrem regulären Einsatzalltag begleiten diese Kriseninterventions- und Notfallseelsorgeteams in ihren jeweiligen Landkreisen und Städten Betroffene, d. h. Angehörige, Augenzeuginnen/-zeugen, Ersthelfende und körperlich Unverletzte, in den ersten Stunden nach plötzlich eingetretenen Krisenereignissen, etwa erfolglosen Reanimationen, Suiziden, schweren Verkehrsunfällen oder Gewalttaten.
Die psychosoziale Akuthilfe ist damit ein wesentliches Glied der umfassenderen Versorgungskette der psychosozialen Notfallversorgung (PSNV), welche auch die unmittelbare »Psychische Erste Hilfe« durch Ersthelfende und reguläre (z. B. Feuerwehr-)Einsatzkräfte in den ersten Minuten nach dem Ereignis sowie eine mögliche (notfall)psychologische, sozialarbeiterische und seelsorgerische Nachsorge in den Tagen und Wochen danach und ggf. die langfristige traumatherapeutische Behandlung umfasst (Die synonyme Verwendung des Begriffs »PSNV« für das eigentlich deutlich enger definierte Konzept der »psychosozialen Akuthilfe« (PSAH) ist weit verbreitet (vgl. »PSNV-Gesetz Berlin«, »Landeszentralstelle PSNV«), birgt aber die große Gefahr in sich, dass die mittelfristige notfallpsychologische Nachsorge und die langfristige, heilkundliche Traumatherapie als eigentlich fundamentale Bestandteile der PSNV vernachlässigt werden).
- Die konkrete Tätigkeit der Einsatzkräfte unterscheidet sich natürlich, je nachdem, welches Einsatzszenario vorliegt. Es finden sich jedoch einige wiederkehrende Kernelemente:
- Herstellen angemessener Rahmenbedingungen für die Begleitung (Betroffene von der Unfallstelle wegbringen; ruhigen Nebenraum als Ort der Betreuung akquirieren) und Versorgung der Grundbedürfnisse (Essen, Trinken, trockene Kleidung, Wärme)
- Beziehungsaufbau und einfaches »da sein«
- Aktives Zuhören, basale Psychoedukation und Normalisierung von Belastungsreaktionen (aber nicht: Aufarbeiten des Traumaereignisses, Ins-Ereignis-Fragen)
- Verständliches Beantworten von Fragen zur Situation der Betroffenen und Vertreten von Bedürfnissen und Interessen der Betroffenen gegenüber anderen Akteurinnen und Akteuren (Rettungsdienst, Polizei, Bestatterin/Bestatter etc.)
- Ermutigung zu eigenem Handeln und Schaffen von Möglichkeiten des Erlebens von Selbstwirksamkeit
- Aktivieren eigener sozialer Netzwerke
- Aufzeigen von Angeboten der psychosozialen und psychotraumatologischen Weiterversorgung, ggf. Initiierung einer weiteren Anbindung
- Klären nächster Schritte und Informationsweitergabe
Kontraindikationen für die Einsatzkräfte der psychosozialen Akuthilfe sind dabei u. a. akutpsychiatrische Krisen (hierfür gibt es – regional unterschiedlich – häufig psychiatrische Krisendienste), akute Alkohol- oder Drogenintoxikation und akute suizidale Krisen.
Führungsstrukturen der PSAH in Großschadenslagen
Großschadenslagen und Katastrophen haben allerdings in ihrer Komplexität und Unübersichtlichkeit ganz eigene Dynamiken, die besondere Herangehensweisen von Einsatzkräften erfordern. Diese sind wie auch die konkreten Definitionen von »Großschadenslagen« und »Katastrophen« in den Katastrophenschutzgesetzen und jeweils ergänzenden Rechtstexten von Bund und Ländern geregelt. Da sich diese von Bundesland zu Bundesland durchaus (leicht) unterscheiden und um den Rahmen dieses Beitrags nicht zu sprengen, seien im Folgenden die Regelungen im Freistaat Bayern exemplarisch aufgeführt. Um Einsatzkräfte der psychosozialen Akuthilfe besser koordinieren zu können, werden sie dort in sogenannten »taktischen Einheiten«, den »Schnelleinsatzgruppen PSNV« (SEG PSNV), zusammengefasst, die aus je vier Einsatzkräften und einer Gruppenführerin bzw. einem Gruppenführer bestehen.
Letztere Person verfügt über mehrjährige Einsatzerfahrung, wurde in einem Lehrgang zusätzlich zur Führung solcher Einheiten weiterqualifiziert, wird mit einer blauen Kennzeichnungsweste ausgestattet und führt selbst keine Betreuungen durch, sondern ist allein für die Koordination der untergebenen Einsatzkräfte und die Kommunikation mit übergeordneten Führungskräften zuständig (siehe Kasten). Einem Bedarfsplanungsalgorithmus des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe folgend, soll eine solche »Schnelleinsatzgruppe PSNV« je nach Belastungsgrad der Betroffenen und Dynamik des Einsatzgeschehens zwischen 13 und 40 Betroffene psychotraumatologisch erstversorgen können.
Hat eine Großschadenslage bzw. Katastrophe eine Komplexität erreicht, die über die Personalressourcen einer solchen taktischen Einheit hinausgeht, wird eine sogenannte »Leiterin PSNV« bzw. ein sogenannter »Leiter PSNV« berufen. Diese Funktion ist bei der Sanitätseinsatzleitung (bestehend aus organisatorischer Leiterin bzw. organisatorischem Leiter Rettungsdienst und leitender
Notärztin bzw. leitendem Notarzt) angesiedelt und für die Koordination der verschiedenen taktischen Einheiten der PSAH zuständig. Die betreffende Person hat, ergänzend zur Qualifizierung als Gruppenführerin/Gruppenführer, eine weitere Qualifizierung durchschritten (siehe Kasten) und wird mit einer magentafarbenen (eigentlich: blaulila) Kennzeichnungsweste ausgestattet.
Die Leiterin bzw. der Leiter PSNV arbeitet in besonders großen Lagen häufig mit einer taktischen Lagekarte (Abbildung 1), um den Schadensraum zu ordnen und Einsatzabschnitte zu definieren, einen Überblick über Betroffenengruppen und deren Aufenthaltsorte zu gewinnen, die Einsatzkräfte effizient zu verteilen und eine rechtssichere Dokumentation der Koordinations- und Einsatztätigkeiten sicherzustellen. Dabei können auch (über die Gesamteinsatzleitung und ggf. mit Unterstützung der Landeszentralstelle PSNV Bayern) zusätzliche taktische Einheiten der psychosozialen Akuthilfe aus anderen Landkreisen und ggf. auch anderen Bundesländern nachalarmiert werden, wenn die örtlichen Einsatzkräfte nicht ausreichen oder aufgrund länger andauernder Einsatztätigkeit ausgewechselt werden müssen.
Wird letztlich zur Bewältigung der Großschadenslage abseits vom Schadensort auch ein Krisenstab eingerichtet - meist unter Leitung der verantwortlichen Landrätin bzw. des verantwortlichen Landrats oder der Oberbürgermeisterin bzw. des Oberbürgermeisters –, kann ergänzend zur Leiterin bzw. zum Leiter PSNV auch eine sogenannte »Fachberaterin PSNV« bzw. ein sogenannter »Fachberater PSNV« zum Einsatz kommen. Diese Person muss in Bayern über dieselbe Qualifikation wie eine Leiterin bzw. ein Leiter PSNV verfügen und darüber hinaus eine (von der Landeszentralstelle PSNV Bayern so definierte) »psychosoziale Fachkraft« sein, also über eine akademische Ausbildung im psychologischen, pädagogischen, sozialwissenschaftlichen oder ärztlich-medizinischen Bereich verfügen. Kurios – und aus fachwissenschaftlicher Perspektive durchaus fragwürdig – ist, dass die Landeszentralstelle PSNV Bayern hier ergänzend u. a. Personen mit einer Zulassung als »große Heilpraktikerin « bzw. »großer Heilpraktiker« und staatlich geprüfte Ergotherapeutinnen und -therapeuten als psychosoziale Fachkräfte einschätzt, die als Fachberatende PSNV berufen werden können.
Der Fachberaterin bzw. dem Fachberater PSNV obliegt es schließlich – jenseits der operativ-taktischen Aufgaben der Leiterin bzw. des Leiters PSNV, welche sich im Schadensgebiet aufhalten – die psychosoziale und psychotraumatologische Versorgung der Betroffenen auf strategisch-administrativer Ebene zu begleiten und die politisch Entscheidenden und deren Bevollmächtigte in der Gesamteinsatzleitung hinsichtlich sinnvoller kurz-, mittel- und langfristiger Maßnahmen zu beraten. Das kann das Erstellen und Verbreiten von Informationsblättern für die Bevölkerung ebenso beinhalten wie die Einrichtung einer psychosozialen Krisenhotline oder die Einsetzung eines runden Tisches mit Vertreterinnen und Vertretern aus der psychotherapeutischen und psychiatrischen Regelversorgung, relevanten Beratungsstellen sowie sonstigen Akteurinnen und Akteuren aus Gesundheits- und Sozialwesen sowie Seelsorge.
Brückenfunktion der PSAH in Großschadenslagen
Die Flexibilität und die sehr schnelle Einsatzbereitschaft, die sich aus den ehrenamtsbasierten Strukturen der psychosozialen Akuthilfe und deren Angliederung an den Katastrophenschutz ergeben, haben gleichzeitig auch einen genuinen Nachteil: Sie sind für eine mittel- und langfristige Versorgung potenziell traumatisierter Menschen kaum geeignet. Weder sind die Einsatzkräfte in der Regel für eine psychotraumatologische Versorgung jenseits der peritraumatischen Akutphase ausgebildet, noch haben sie die zeitlichen Ressourcen für eine mehrwöchige bzw. -monatige Betreuung von Betroffenen, wenn die Einsatzkräfte nach Beendigung des Katastrophenfalls nicht mehr über die sogenannte »Helferfreistellung « aus ihren regulären Arbeitsstellen für ihre ehrenamtliche Tätigkeit herausgelöst werden können.
Aus diesem Grund ist es eine der wesentlichsten Aufgaben der psychosozialen Akuthilfe, die Brückenfunktion, d. h. die weitere psychotraumatologische Versorgung der Betroffenen durch institutionalisierte Angebotsträger des Gesundheits- und Sozialwesens, sicherzustellen. Da im Kontext von Großschadenslagen und Katastrophen insbesondere auch ortsfremde Einsatzkräfte im Rahmen der überregionalen Nachalarmierung tätig sind, liegt hier ein besonderer Aufgabenschwerpunkt bei den Leiterinnen bzw. Leitern PSNV und Fachberaterinnen bzw. Fachberatern
PSNV, mit den relevanten Einrichtungen und Personen des Gesundheits- und Sozialwesens eine passende Weiterversorgungsstrategie zu vereinbaren und die entsprechenden Angebotsträger, deren jeweilige Indikationen sowie deren Kontaktdaten den Einsatzkräften zur Verfügung zu stellen, damit diese die von ihnen begleiteten Menschen wiederum optimal beraten können.
Eine solche Weiterversorgungsstrategie sollte mehrschichtig und multiprofessionell angelegt sein, niedrigschwellige, aufsuchende Angebote ebenso beinhalten wie Möglichkeiten einer psychiatrischen Unterbringung im akuten Selbst- oder Fremdgefährdungsfall und die unterschiedlichen Bedarfe der verschiedenen Betroffenengruppen widerspiegeln – von Informationsblättern und -veranstaltungen für Angehörige von Geschädigten bis hin zu intensiver notfallpsychologischer und ggf. traumatherapeutischer Nachsorge für Menschen mit starker Symptomatik einer akuten Belastungsreaktion bzw. späteren PTBS.
Von ganz besonderer Bedeutung erscheinen in der mittel- und langfristigen Nachsorge nach Katastrophen die »Guidelines on Mental Health and Psychosocial Support in Emergency Settings« des ständigen interinstitutionellen Ausschusses der Vereinten Nationen (2007). Diese haben ihren Schwerpunkt in Katastrophen von besonders großem Ausmaß (z. B. Flutkatastrophen, Erdbeben, kriegerische Konflikte und damit verbundene Flüchtlingswellen) und sprechen sich explizit dafür aus, die psychotraumatologische Arbeit mit einer so großen Zahl von Betroffenen in einem multiprofessionellen, pyramidenförmigen Versorgungsansatz zu implementieren. Bei diesem werden Fachkräfte aus Psychologie, Psychotherapie und Psychiatrie ganz bewusst lediglich in der obersten Ebene, den »spezialisierten Dienstleistungen« (»specialised services«), für die direkte 1:1-Arbeit mit Betroffenen eingesetzt. In den unteren drei Ebenen sollen Mental Health Professionals lediglich koordinierende und instruierende Aufgaben übernehmen, während andere Berufsgruppen – und zu einem wesentlichen Anteil auch Mitglieder der Betroffenengruppe (Peers), die zu Multiplikatorinnen und Multiplikatoren weitergebildet werden (siehe Kasten) – dort in direktem Kontakt mit Betroffenen sind.
Dieser Ansatz schont in enormem Ausmaß die in solchen Szenarien stark begrenzten Ressourcen an psychologischem und medizinischem Fachpersonal (insbesondere auch, wenn diese beispielsweise selbst in größerer Zahl vom Ereignis betroffen sind und/oder räumliche Strukturen wie Kliniken und Praxen in der Krisenregion zerstört wurden), ist gut skalierbar für eine sehr große Zahl von Betroffenen, und ermöglicht, das Problem der sprachlichen Barrieren zwischen den Betroffenen und ggf. aus anderen Regionen und Ländern hinzugezogenem Fachpersonal zu verringern.
Wichtig ist hierbei aber die vernetzende und inkludierende Arbeit der Fachberaterinnen bzw. Fachberater PSNV im Kontakt mit anderen Akteurinnen, Akteuren und Entscheidenden (Im Freistaat Bayern werden dazu seit 2019 in allen Landkreisen sogenannte »Arbeitsgemeinschaften PSNV« eingerichtet, die eine Vernetzung der Beteiligten vor Großschadenslagen und Katastrophen bereits im Vorfeld sicherstellen sollen.), insbesondere solchen, die sich klassischerweise nicht als Teil der psychosozialen und psychotraumatologischen Versorgung verstehen (beispielsweise Leiterinnen und Leiter von Flüchtlingsunterkünften, Sicherheitsdienste, Personal in Kommunalverwaltungen). Denn diesen »nicht psychologischen« Akteurinnen und Akteuren kommt insbesondere in der untersten Ebene der Versorgungspyramide, den psychologischen und sozialen Aspekten der Grundversorgung und Sicherheit, eine Rolle zu, die in besonderer Weise über Erfolg oder Misserfolg psychotraumatologischer Versorgung entscheidet.
Psychologie im Gefüge der beteiligten Disziplinen Historisch gesehen hat sich die psychosoziale Akuthilfe in Deutschland aus dezentralen Initiativen einzelner Rettungsdienstmitarbeitenden und spezialisierten Teilen kirchlicher Seelsorge, z. B. der Feuerwehrseelsorge, entwickelt. Die klinische Psychologie, die hierzulande auch in ihrer Gesamtheit stark mit dem Approbationsvorbehalt verknüpft ist, ist zum größten Teil in der Versorgung traumatisierter Menschen mit weit größerem zeitlichem Abstand vom Ereignis aktiv: Psychologinnen und Psychologen interagieren mit Betroffenen schwerpunktmäßig erst dann, wenn Traumafolgestörungen Krankheitswert erlangt haben, während die kurzfristige und salutogenetisch-sekundärpräventiv ausgerichtete Akuthilfe meist den Einsatzkräften der psychosozialen Akuthilfe vorbehalten bleibt und die mittelfristige Nachsorge in vielen Fällen von Fachkräften aus sozialer Arbeit (z. B. Trauerbegleitung, Beratungsstellen) und Theologie (Priester, Pfarrerinnen/Pfarrer, Diakoninnen/Diakone, Pastoralmitarbeitende) übernommen wird.
Andere Länder verfolgen hier durchaus andere Ansätze. In Österreich fungieren Notfallpsychologinnen und Notfallpsychologen vielfach als Rückfallebene für Kriseninterventionsteams, die bei besonders anspruchsvollen Einsätzen oder besonders belasteten Betroffenen hinzugezogen werden. Und die »Cellules d’urgence médico-psychologique« (medizinisch-psychologische Notfallzellen) in Frankreich sind ebenso wie die »Grupo de Intervención de Psicologia de Catástrofes y Emergencias« (Psychologische Katastrophen- und Notfallinterventionsgruppe) in Spanien direkt aus Mental Health Professionals (Psychologinnen und Psychologen, Psychiaterinnen und Psychiater etc.) mit notfallpsychologischer Fortbildung zusammengesetzt.
Man kann argumentieren, dass die Gemeinschaft der Psychologinnen und Psychologen in Deutschland – mit ihrer abrechnungsbedingten Tendenz zur Pathologisierung psychischer Belastungen nach Notfallereignissen und der damit verbundenen fast ausschließlichen Interaktion mit Betroffenen in einem klinisch-therapeutischem Verhältnis – der Komplexität der Psychotraumatologie und den fachlichen Bedarfen bei Großschadenslagen und Katastrophen nicht gerecht wird. Die (individuell wie auch gesamtgesellschaftlich) hohe Bedeutung einer salutogenetisch-sekundärpräventiven Akutversorgung gerade dann, wenn eine sehr große Zahl von Menschen zu versorgen ist, wird möglicherweise etwas zu leichtfertig (beinahe vollständig) abgegeben an Personen- und Berufsgruppen, die über eine unter Umständen reduzierte fachwissenschaftliche Ausbildung im Bereich Psychotraumatologie verfügen.
Dies mag den bisher größtenteils ehrenamtlichen Strukturen in diesem Bereich und der gesellschaftlich doch (noch) großen Bedeutung kirchlicher Akteurinnen und Akteure im Kontext des Themenfeldes »Tod und Trauer« geschuldet sein. Die zunehmende Professionalisierung der psychosozialen Versorgung sowie die steigende Säkularisierung in Deutschland sollten aber ein drängender Anlass für eine weitaus größere Zahl von Psychologinnen und Psychologen als bisher sein, sich vermehrt im spannenden Feld der psychosozialen Akuthilfe und des psychosozialen Krisenmanagements einzubringen. Eine engere Zusammenarbeit des BDP mit den Strukturen der psychosozialen Notfallversorgung – wie dies in jüngster Zeit durch mehrere Projekte der Fachgruppe »Notfallpsychologie« vorbereitet wird – erscheint daher dringend geboten.
Dr. Robert Steinhauser